Die Begleitung einer Patientin

Am ersten Tag meiner Arbeit habe ich Frau G. kennen gelernt. Frau G. ist Anfang 50. Ich habe sie besucht und mich bei ihr vorgestellt. Sie lag in ihrem Zimmer. Alleine. Sie hat Infusionen bekommen. Sie sagte: „Frau Martin, ich bin sehr schwach ich habe eine Operation gehabt und ich weiß nicht, wie lange ich mich konzentrieren kann. Ich möchte, dass Sie bei mir bleiben und dass wir uns unterhalten können.“ Ich habe mich sehr gefreut und gesagt, dass sie meine erste Patientin ist und ich sehr aufgeregt bin.

 

Frau G. hat mir erzählt, wie es ihr grade geht und dass sie starke Schmerzen im Bauch hat. „Richtig scheiße geht es mir jetzt, Frau Martin.“ Wir haben richtig gelacht, und das Wort Scheiße zu sagen hat ihr Erleichterung gegeben. Wir konnten trotzt der starken Schmerzen laut lachen.

 

Ich habe gefragt, ob ich sie nächsten Mittwoch wieder besuchen darf. Frau G. hat geantwortet: „Ja Frau Martin, ich warte auf Sie, bis Mittwoch“ .

 

Ich habe Frau G. regelmäßig besucht, Woche für Woche. Unsere Beziehung wuchs und Frau G. konnte sich auch immer mehr öffnen. „Frau Martin, ich möchte jetzt malen“ hat sie gesagt. Ich habe mich sehr gefreut. Ich antwortete, dass ich gleich alles bringe, was ich habe: Farben, Pinsel, Stifte und meinen Materialwagen. Frau G. hat im Bett gemalt auf einem Holzbrett bespannt mit einem weißen Blatt Papier. Frau G. hat einen Baum gemalt. Sie sagte: „Mein Baum ist groß, dunkel und hat keine Blätter“. „Immer ist das so“, sagte sie, „keine Blätter und in schwarz. Auch meine Kleider sind immer schwarz. Warum ist das so bei mir?“

 

Am folgenden Mittwoch hat sie mir aufgeregt erzählt, dass sie ihrem Mann gesagt hat er solle Pastell-Farben, einen Block Papier und Holzunterlagen kaufen. „Ich will zu Hause weiter malen. Genau gleich wie zusammen mit Ihnen“.

 

Frau G. hat sich stabilisiert und in ihrer Krankheit einen neuen Weg gefunden ihre Wünsche auszusprechen, aktiv zu sein und ihre Bedürfnisse zu äußern und zu leben. Ich habe Frau G. gefragt, ob sie für mich eine Rückmeldung schreiben könnte. Ich würde mich freuen, sie auf dem neuen Flyer dabei zu haben, wenn sie das möchte. Sie sagte: ,,Ja das mache ich sehr gerne für Sie, Frau Martin.“ Frau G. war es sehr wichtig, dass die Uhrzeit 5:17 Uhr dabei ist: „Ich konnte nicht schlafen und genau um 5:17 Uhr begann ich zu schreiben für Sie: ‚Malen – das Wort hat plötzlich eine andere Bedeutung bekommen, ich bringe es in Verbindung mit Kraft und Kämpfen um Gesundheit. Liebe Frau Martin, ich kann durch Ihre Therapie in jeder Hinsicht neue Kraft schöpfen. Danke, Danke, Danke. Ihre Frau G.‘“

 

Frau G. hat mir auch ein Geschenk gemacht. Sie hat neue Holzbretter bei einem Schreiner anfertigen lassen. Sie sind jetzt leichter hat sie gesagt. Ich habe mich sehr gefreut. Die neuen Malbretter sind sehr schön. Frau G. ist entlassen worden und wir haben uns 3 Monate nicht gesehen. Ich wusste nicht wie es ihr geht. Anfang Dezember habe ich erfahren, dass sie wieder da ist. Sie hat nach mir gefragt und die Station gebeten, dass ich zu ihr kommen soll. Das war wieder an einem Mittwoch. Sie hat auf mich gewartet. „Frau Martin, ich bin wieder da“ sagte sie.

 

„Mir geht’s nicht gut, ich bin heute eingeliefert worden und habe gleich nach Ihnen gefragt.“ Ich hatte Tränen in den Augen und ich wusste nicht, was ich sagen soll. Frau G.s letzter Wunsch war, dass ich bei ihr bin und ihre Hand halte. Das täte ihr gut. Ich habe Frau G. auf ihren Wunsch hin jeden Tag in der Klinik besucht. Ihr Gesicht konnte sich entspannen und sie lächelte. Frau G. ist am 6. Dezember 2016 in der Klinik gestorben.

 

Ein Wunsch von Frau G. war, dass die Kunsttherapie auch weiterhin besteht.

 

Ich bedanke mich bei Frau G., dass sie für mich eine Lehrerin war, von Anfang bis zum Schluss. Sie hat mich auf meinem Weg in der Klinik begleitet.

 

Malgorzata Martin

März 2017